Karin Haenlein/ Kerstin Vornmoor: Interview

Karin Haenlein:  Wie arbeitest Du?

Kerstin Vornmoor: Die Zeichnung ist die Ausgangslage für die Bild oder Raumkomposition. Ein Grundgerüst. Die Struktur der Zeichnung gibt den Rhythmus vor. Die Basis ist das Prinzip der „denkenden Hand“ (Horst Bredekamp, „Denkende Hände. Überlegungen zur Bildkunst der Naturwissenschaften, Räume der Zeichnung”). Ich betrachte den Bildträger auf dem das Bild entstehen soll und meine Beziehung zu ihm. Bei den  Raumcollagen informiere ich mich über die Eigenheiten und die Geschichte des Ortes. Dann nehme ich mein Werkzeug, ein Sieb, auf dem die Zeichnung aufbelichtet ist; das ist eine Methode die persönliche Zeichnung wie einen Stempel zu benutzen. Bei den Raumcollagen schneide ich die kopierten Zeichnungen aus. In der zweiten Phase überlasse ich mich dem Arbeitsprozess, der zwischen Format des Bildträgers, Form des Musterstempels (Zeichnung) und einem intuitiven Messapparat in meinem Innern hin und her schwingt und diese drei unterschiedlichen Mittel der Analyse, des Prozesses und der Meditation verbindet. 

KH: Wann sind die Arbeiten „fertig“? Ist das Ende finden ein langwieriger Prozess? 

KV: Bei den Bildern ist die Trocknungszeit der Farbe ein Indikator. Ich bearbeite mehrere Exponate gleichzeitig. Jede Abbildung ist ein Unikat, das teilweise mit verschiedenen Schablonen bedruckt worden ist. Einerseits sind die Bilder abgeschlossen, weil es um fertige Produkte geht, andererseits sind es Zwischenerscheinungen und Zeugnisse von diesem Prozess, der auf einem anderen Bildträger und in einer Raumsituation neu starten kann. Also eine Art ‚work in progress’. Der Bildträger kann sich im Zuge des Arbeitsprozesses verändern. In den Rauminstallationen arbeite ich mit kopierten Versatzstücken meiner Zeichnungen. Neuerdings bedrucke ich Stoffe, die ich in den Raum hänge .

KH: In welchem Bezug stehen die Rauminstallationen zu den Arbeiten auf Papier und Leinwand ?Welche Rolle spielt der Raum?

KV: Räume wie Kirchen, Moscheen, aber auch Tempel, als Orte altertümlicher Rituale, interessieren mich. Diese Thematik schwingt in meinem künstlerischen Prozess mit. Bei meinen Installationen weckt die Geschichte des zu bespielenden Raumes  meine Aufmerksamkeit und ich überlege bildnerische Analogien.

Ich arbeite mit der  Wand im Raum, die eine Aufgabe für mich darstellt. Diese Aufgabe gilt es durch das richtige Positionieren und Aufkleben der ausgeschnittenen Zeichnungen zu lösen. Lösen bedeutet Auflösen, die Struktur des Raumes verändern, damit etwas Neues entsteht oder eine alte Thematik hervorgeholt wird. Bei den Bildern bedingt sich die Aufgabenstellung durch das Volumen der Farben. Wie geht die Farbe mit der Zeichnung um, was entsteht, wenn viel Farbe durch eine feine Druckschablone gepresst wird. Es reizt mich im Arbeitsprozess Entstehungsspuren zuzulassen. Die Siebdrucktechnik eignet sich für diese Methode besonders gut, da viel schief gehen kann. Ein Wahlspruch meines Lehrers Werner Büttner an der Hochschule war: „Mach deine Schwächen zu Deinen Stärken“. Bei den Bildern und den Rauminstallationen arbeite ich gleichermaßen mit einer individuell ausgeführten Rapport-Technik. 

KH: Was interessiert Dich am Ornament?

KV: Letztlich geht es um die Ursprünge der Abstraktion. Zeitweise habe ich durch das Aneinanderreihen von skalierten, figürlichen Zeichnungen Muster entstehen lassen. Nun habe ich mich entschieden nicht mehr den Umweg über die Figur zu gehen, sondern mich gleich in der Zeichnung mit dem Ornament zu befassen. Geometrische Formen spielen in der Geschichte von Ornament und Abstraktion eine große Rolle, in  der islamischen und antiken Bildwelt ebenso wie im autonomen Tafelbild der Moderne. Durch die Wiederholung der einzelnen Zeichnungen lasse ich eigenwillige Formationen entstehen, die im Prinzip bis in die Unendlichkeit weiter gedacht werden können. Die begrenzte Fläche des Tafelbildes bietet einen Ausschnitt. Es ist wichtig für mich, mich nicht an die mathematische Ordnung der Figuren zu halten, sondern spielerisch an die Arbeit zu gehen. Auf diese Weise erhält das Ornament von mir seine Autonomie. 

KH: Was bedeutet Schönheit für Dich in Bezug zur Kunst und zu Deiner künstlerischen Arbeit?

KV: Über Jahrhunderte hinweg war es eine der Hauptaufgaben der Kunst eine Definition von Schönheit abzugeben. Dieser Schönheitsbegriff hat sich im Laufe der Zeit stetig gewandelt. In der zeitgenössischen Kunst ist die Thematik der Schönheit, meiner Ansicht nach, nach wie vor ein schwieriges Feld. Die Angst, die eigene Kunst würde als Dekor oder Kitsch wahrgenommen werden, wenn Sie schön ist, sitzt tief. Aber es gibt Strömungen, die einen Wandel anzeigen. Für mich persönlich lebt das Ideal in der Schönheit des Ornaments und Musters. Auf meinen Bildern breiten sich durch Wiederholung  geometrische  Formen  in  einem  unbestimmten Schema zu einem Gebilde aus. Das Prinzip der Serie  ‚objektiviert’ , entspannt den Blick und bietet die Möglichkeit der Verkehrung des Blickes nach Innen. Mein Blick ist ein feministischer Blick und es geht darum, die Schönheit in uns selber zu finden. In meinem ersten Buch widmete ich mich bereits diesem Thema (siehe: "Je n'ai qu'une seule amie: molette-muster-göttinnen")

KH: Seit einiger Zeit tragen Deine Bilder Songtitel. Welche Verbindung haben die Bilder zu den Titeln?

KV: Als „Projekt Chanson“ haben wir im Jahr 2001/ 2002  Musik gemacht. (Projekt Chanson: Karin Haenlein, Felix Pawlas, Kerstin Vornmoor). Dann löste sich die Band auf, weil ich nach Berlin umgezogen bin. Jetzt, zurück in Hamburg, taucht die Musik in den Bildertiteln wieder auf, weil sie in meinem Leben eine große Rolle spielt. Ich höre die gleichen Lieder  sehr oft hintereinander, sodass ich im Nachhinein Situationen und Gefühle mit dem jeweiligen Lied verbinde. Französischen Chansons  lausche  ich besonders intensiv, auch um meine Sprachkenntnis zu verbessern. Die Musik läuft während der Bilderproduktion. Die Songtitel erzeugen eine zweite, spielerische Ebene im Bildraum und schaffen weitere Querverbindungen. Musik hat ihre eigene Art Inhalte zu transportieren und Bewusstseinszustände zu durchdringen.