Das Moor zieht an. Wer sich im Moor verirrt, läuft Gefahr zu versinken und zu bleiben. Darin umschlossen, sein eigenes Leben aufzugeben. Den Körper erhält es sich über eine unbestimmte Zeit. Minimal finden Zersetzung und Wandlung statt. Tiere und Pflanzen sind rar. Da ist eben nur das Moor. In seinem Wesen scheint es wie ein Zustand zu sein. Auf seiner Oberfläche ist eine feine Farbmodulation des blühenden und absterbenden Torfmooses zu sehen, eine der seltenen Pflanzen im Moor. Der Erhalt dieser besonderen Landschaft heute ist eine Gratwanderung. Allein schon wenn Birken wachsen und dadurch den Boden entwässern, ist das natürliche Gleichgewicht eines Moores gestört.
Eine Beschädigung dieser Kulturlandschaft ist unwiederbringlich, denn ein Moor braucht Jahrtausende um langsam wieder neu zu entstehen. So steht die Landschaft heute unter Schutz. Der künstliche Erhalt einer alten Vegetation, die uns erscheint wie ein Bild von Ewigkeit.
In einer Beschreibung aus Wikipedia über den Ort der Zone aus dem Film Stalker von Andrei Tarkowski heißt es:
„In dieser Zone geschehen seltsame Dinge, es gibt rätselhafte Erscheinungen, deren Ursachen zum Zeitpunkt der Handlung schon Jahre zurückliegt und nur vermutet werden kann“. In Kerstin Vornmoors Bildern sehe ich Bezüge zu diesem seltsamen Ort. Die geometrischen und floralen Ornamente auf ihren Gemälden erinnern zum Teil an Formen dieser Landschaft und ihrer spärlichen Vegetation. Es lassen sich Pflanzen, Kristalle, Zeichen und Figuren herauslesen. In ihrer Vielzahl geschichtet, spannen sie sich zu einer feinen Masse, gezogen über das Format der Leinwand.
In Step into my office, Baby (Belle & Sebastian) entheben sich die gedruckten Stücke aus einer spürbaren Dichte zu einem schwerelosen langsam flimmernden Tanz. Die Wiederholungen der einzelnen Sujets und ihre Überlagerung, bedingt durch den vielfach wiederholten Siebdruck, bewirkt Dynamik, wie bei Sounds of Silence (Simon & Garfunkel). Die einzelnen Motive lassen eine Vielzahl von kleinen Explosionen zu. Darin gibt es bei Wuthering Heights (Kate Bush) artistische Momente: ein Ausscheren und Verwischen der Gelbtöne auf der Leinwand durch das scheinbar lockere Abrutschen des Malwerkzeuges. Das Ergebnis ist einfach und virtuos. In seiner Konzentration wirkt es wie ein ewig angehaltener Moment einer sehr kurzen Zeitfrequenz.
Waschmaschine (Niels Frevert) ist eine in der Wirkung leichte Filigranarbeit eines Blumen- und oder Kristallmandalas. Bei I startet a joke (Bee Gees) wird dieses von einem floralen Ornament überlagert. Durch das neu Zusammensetzen derselben Motive entstehen gänzlich andere Bilder und Assoziationen. Die Bewegungsrichtung des Betrachtens verläuft nicht nur vertikal, sondern nimmt auch einen Verlauf in die Tiefe des Bildes, Schicht durch Schicht hindurch. Wenn man dem Sog des Bildes folgt, zeigen sich die floralen Muster und zeichenhaften Formen in verschiedenen Farben, Größen und Setzungen immer neu zueinander, wie bei I’m not sorry...(Morrissey).
Bei Allah wirken sie gepresst und in einer widerstreitenden Bewegung. Das nach außen Streben scheint durch die roten kreisenden Formen gebremst und die dadurch erzeugte Spannung wird durch das gesetzte blaue Ornament im Kreis eindringlich gesteigert. Die Form des Odradek bei I’m not sorry...(Morrissey) tanzt wild und flackernd in beide Richtungen über das Format. Der Odradek ist, laut der Erzählung von Franz Kafka, „außerordentlich beweglich und nicht zu fangen“. Sein Lachen „ist aber nur ein Lachen, wie man es ohne Lungen hervorbringen kann. Es klingt etwa so, wie das Rascheln in gefallenen Blättern“.
Bei Mitte des Lebens flammen die Muster schnell auf und verschwinden wieder. Die vier weißen Sternornamente im Vordergrund bilden im hellen Aufblinken eine Barriere, die blendet und Neugierde weckt auf etwas, was sie vehement, hinter sich zu verbergen sucht. Bei den Arbeiten In der Wirklichkeit (Blumfeld) und Step into my office, Baby (Belle & Sebastian) wird durch die transparente Grundierung die Eigenfarbe und die materielle Struktur des Nesseluntergrundes sichtbar. Dieser Untergrund wirkt auch wie nackte Haut und der Aufdruck darauf erscheint wie ein farbig-durchsichtiger Stoff. Beim Aufdruck staut sich die Farbe innerhalb der Begrenzung der Druckvorlage und ist scharf konturiert. In ihr sind Schlieren und Verdickungen zu sehen. Dadurch wird sie haptisch und erinnert subtil an Schlamm oder Blut wie bei dem Gemälde Ornamental Jeff Koons .
Etwas drückt sich still, als feines Netz in einer zeichenhaften Formenkonstellation bis an die Oberfläche der Leinwand von Ornamental Jeff Koons) durch. Wie eine tiefe Erinnerung an eine uralte Kultur, die bislang aus dem kollektiven Bewusstsein verschwunden war. Im Wechsel und Neu zusammenfügen von Motiven durch das Setzen und Übereinanderschichten wird eine alte, fest gefügte Ordnung in neue Gewichte umgewandelt und transformiert. Durch den Platz, den die Farbe materiell auf der Leinwand einnimmt, okkupiert die Künstlerin den Raum spürbar und schafft damit eine Annexion des Raumes im Sinne der Umdeutung. Sie, die Bilder, sind aber nicht zu fassen sondern mehr wie vielstimmige Gesänge, die je mit Titeln von Songs versehen, etwas von einer undurchdringlichen Schwere hinter sich lassen und sich dann grazil zu einer neuen fortlaufenden tänzerischen Geste verdichten. Sehr Sexy.
Melusine Eichhorn, Künstlerin, Hamburg